Wahlmöglichkeiten
Wahlmöglichkeiten
24.02. – 16.05.2025
IHK Leipzig
Goerdelerring 5
Vernissage am 24.02.2025, 18 Uhr in der IHK zu Leipzig
Ausstellung „WAHLMÖGLICHKEITEN“
mit Arbeiten von Harald Bauer (1938 – 2013)
Sehr verehrte Anwesende, Freundinnen und Freunde der Kunst im Allgemeinen und der Kunst des Bauer, Harald im speziellen,
scheinbar ereilt uns heute die Gnade der ZUSPÄTGEKOMMENEN: Gestern war die Wahl, heute haben wir erneut „WAHLMÖGLICHKEITEN“……
Sind wir heutigen SPÄTWÄHLER von Gestern?……
Können wir heute erst wählen, was gestern noch gar nicht zur Debatte stand?……
Das ist offensichtlich und richtig, stimmt aber doch nicht ganz, denn das Gestrige wirft seine langen Schatten auch ins Heute, Politik beeinflusst Handlungen, Tätigkeiten, Kreativität, Sichtweisen, sogar das Sehen an sich.
Das Prinzip: WER DIE WAHL HAT, WIRD SCHON SEHEN? Scheint ein gutes Motto auch für diese Ausstellung zu sein. Draußen schmelzen die Versprechen von gestern schon wie Schnee in der Frühlingssonne aller Sieger. Hier drinnen macht sich Ungesehenes breit, bietet sich uns an, ohne viel zu versprechen, will, dass wir anderweitig uns bereichern.
Denn wir haben heute hier zunächst etwas zu sehen, nämlich das, was bleibt von einer physischen Person, nachdem sie in eine andere Welt gewechselt ist. Vor zwölf Jahren hatte Harald Bauer an einem heißen Sommertag keine Wahl mehr und hat sein schöpferisches Werk endgültig vor unsere immer neugierigen Augen geworfen.
Neben der Qual der Wahl, vor welcher seiner Hinterlassenschaft wir in Verzweiflung oder jauchzender Verzückung geraten wollen, bleibt das Erstaunen darüber, dass seitdem eine 12 Jahre unermüdlich fließende Zeit durch uns hindurch geströmt ist.
Diese hat zwar uns selbst mächtig zugesetzt, jedoch dem künstlerischen Nachlass Harald Bauers nicht von ihrer assoziativen Kraft, Frische und Attraktivität genommen.
Seine hier zu sehenden markanten Fixpunkte am Firmament der Kunst leuchten ungetrübt, sie bilden ein quasi unverrückbares Gerüst, stabile Säulen und sind Teil der substanziellen Essenz seines künstlerischen Schaffens.
Dieses Schaffen kann uns heute nur erreichen, weil Harald Bauer eines fern zurück-liegenden Tages eine Entscheidung getroffen hat.Er hatte die Wahl zwischen Maschinen-bauplänen und Aktzeichnungen, zwischen Maschinenöl und Ölfarbe, zwischen der offensichtlichen Komplexität nützlicher Metallkonstrukte u d der versteckten Eleganz von aufgefundenen Schrottteilen.
Er hat sich für das Spielerische, das Assoziative, das Genussvolle, das Quälende, für die Kunst also entschieden.
Als Kollege fühlte ich die Räume zwischen seinen handfesten Arbeiten immer angenehm angefüllt mit Episoden, Anekdoten, Begebenheiten, Zufälligkeiten und genialen Momenten. Auch dieses „Füllmaterial“ scheint mir für das Verständnis seiner Arbeiten von Bedeutung. Das Paradoxon besteht jedoch darin, dass, je weiter sich die Erinnerungen entfernen, je schwächer sie werden, desto größere Wirksamkeit entfalten sie.
Diese verbindende attraktive Energie zwischen seinen Arbeiten könnten also der Beweis für die Homöopathie auch in der Kunst sein.
Ich erinnere mich:
Eine überschaubare Anzahl Kunstfreundinnen und Kunstfreude sitzt an einem langen Küchentisch und bereitet gemeinschaftlich eine delikate Abendspeiße nach den Vorgaben eines ausgewählten Kochbuches vor. Heute würde man von „KOCHSHOW“ sprechen, damals war es ein Veredeln von und ein Experimentieren mit Nahrungsmitteln.
Die Messer, Schaber und Schüsseln blitzen im Küchenlicht, die Zutaten schwitzen, Zigarettenrauch und Bratenduft erfüllt den Raum, Bier schäumt, Wein wird geschlürft.
Der Oberkoch und Delikatessenbeauftragte und Hausherr achtet darauf, dass alles streng nach Kochbuch erfolgt, dass Zeiten eingehalten und Mengen exakt abgemessen werden, dass keine Fremdzutat sich einen beisteuernden Weg bahnen kann.
Harald Bauer sitzt mir gegenüber, seine Tabakspfeife ragt aus dem buschigen Bart, dampft lokomotivisch und seine kleinen spitzbübischen Augen folgen konzentriert seinem Messer, wie es eine Zwiebel in dünne Streifen schneidet. Er ist die Ruhe selbst. Ab und zu schmunzelt er, brummt etwas in sich hinein, stößt Dampf aus und sitzt unverrückbar in der Gesprächsbrandung der anderen.
Als es leiser wird, schlägt er plötzlich vor, etwas mehr Zufall in den Kochprozess einzu-bringen. Der stehende Smutje lehnt kategorisch ab. Brabbelndes Gelächter der Umsitzenden begleitet das Beharren des kulinarischen Befehlshabers auf den Vorgaben der genussversprechenden Schrift. Als sich der schriftverliebte Kochkäpt`n zum Herd umwendet, schnappt sich Harald Bauer seelenruhig die ausgesonderten schwarzen Oliven und hebt sie unter den Salat aus grünen, gelben, weißen Blättern, in den „um Kochbuch Willen“ keine schwarzen Oliven gehören!
Er dampft, lächelt zufrieden, lässt die Zwiebeln streifig genug sein und murmelt in meine Richtung:
Es geht doch um Form und Farbe!
Ja, natürlich!, …… auch beim Genuss geht es um Form und Farbe!
Jenseits des Kulinarischen gilt das auch und ganz besonders
HEUTE und im weiteren Besonderen HIER.
Harald war zweifellos ein jung gebliebener, alter weißer Mann, der sich nie seine Genüsse hat bestimmen oder einschränken lassen. Seine gewitzte Zügellosigkeit erkannte ich an der Art und Weise seines Pfeifendampfens, an seiner kulinarischen Experimentierfreude, an seine erotisch aufgeladenen Bildobjekten und Skulpturen, an seiner spielerisch zupackenden Detailwahrnehmung, an seinem wachen Blick und seinem immer eigensinnigen Kurs auf Schaumschlägermeer seiner Zeit.
Heute haben Sie die Gelegenheit, seinen schöpferisch genüsslichen Schwingungen in dieser Ausstellung nachzuspüren.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
HAEL YXXS Februar 2025