Harald Bauer
Bauers Wege
Bauers Ways
Öffentliche Aufmerksamkeit
Aufmerksam wurde die kunstinteressierte Öffentlichkeit in jenen ostdeutschen Landen, die als zweiter deutscher Staat sich bezeichneten, auf Arbeiten von Harald Bauer erst ab Mitte der achtziger Jahre, als es ihm gelang, zunächst in ehrenamtlich geführten „Kleinen Galerien“ des Kulturbundes Malereien und plastische Werke auszustellen.
Dabei schuf er bereits seit 1979 in eigener Werkstatt Keramiken. Damals war er fünfundvierzig Jahre alt und hatte eine Entwicklung durchlaufen, die als autodidaktisch zu bezeichnen ist. Zwar hatte er sich in jungen Jahren unter Anleitung des Leipziger Malers Walter Münze mit Malerei und Grafik beschäftigt, das jedoch nebenher und quasi als eine, wenn auch ernsthaft betriebene, Betätigung in der Freizeit. Sein beruflicher Entwicklungsweg war der eines Technikers, der Maschinenbau studierte und seine Ausbildung mit einem Diplom abschloß. Doch erblickte er im technischen Beruf offensichtlich nicht sein Lebensziel und suchte nach Möglichkeiten, seine künstlerischen Interessen und Fähigkeiten auszubilden.
Das jedoch war nur möglich, wenn er allein nach den für ihn gangbaren Wegen suchte, abseits von Akademien und prägenden Lehrerpersönlichkeiten. So entwickelte er auf sich gestellt seine bildnerischen Vorstellungen, was ihn davor bewahrte, einerseits in den Sog einer „Schule“ zu geraten, wie andererseits die herrschenden Auffassungen von zeitgenössischer, d. h. zeitgemäßer bildender Kunst bedienen zu müssen. Diese waren auf den Begriff des Realismus festgeschrieben, also auf eine ab- oder nachbildende Formensprache, auf lesbare Bilder, die häufig literarisch fundiert waren und deshalb neben mythologischen Bezügen zur Antike der Griechen und Römer von „privaten“ Mythologien nur so strotzten. Ihm als Autodidakten war deutlich, daß der Zugang zu großen Ausstellungen und zu künstlerischen Aufträgen staatlicher Stellen oder solchen der sog. gesellschaftlichen Organisationen, z. B. der Gewerkschaften, nicht möglich sein würde.
Als einziger Weg zu wirklich freischaffender Tätigkeit war die Mitgliedschaft im Künstlerverband der DDR anzustreben. Aussicht auf Erfolg in diesem Bemühen war für ihn vor allem dank seiner keramischen Arbeiten zu erwarten, denn in den „angewandten“ Künsten, vor allem im Kunsthandwerk, war die Doktrin eines „sozialistischen“ Realismus didaktischer Prägung zu keiner Zeit durchzusetzen gewesen.
Metallgestalltung und Keramik
Außerdem trat seit Mitte der 70er Jahre eine junge Generation akademisch ausgebildeter Gestalter in den textilen Künsten, in der Metallgestaltung, dem Schmuckschaffen und vor allem in der Keramik für eine Gestaltfindung unmittelbar aus dem Material heraus ein, sorgte für ein radikal verändertes Verständnis von Aufgabe und Wirkung bildnerischer Werke und schüttete zusehends die historisch entstandenen Gräben zwischen sog. bildender oder freier und sog. angewandter Kunst wieder zu. Materialgeprägte „Bilder“ und Plastiken, geschaffen von Kunsthandwerkern, bestimmten zunehmend die Ausstellungen.
In dieser Situation trafen die Keramiken von Harald Bauer auf ein ihnen gemäßes Wirkungsfeld. Denn er schuf keineswegs Töpferwaren, viel-mehr freie keramische Plastiken, die nicht durch utilitäre Bestimmung geprägt, sondern durch bildnerische Ideen bestimmt wurden und einen durchaus unüblichen Charakter trugen: frei aufgebaute und unglasierte keramische Formen, von rostigen Eisenbändern umschlossen oder mit freiem Pinselschwung aufgetragene dunkel glänzende Zeichen auf rauhem Grund aufweisend.
Das erzeugte ein nachgerade haptisches Interesse an den Arbeiten und wurde zudem untergründig von Zeitempfindungen getragen, etwa von dem Gefühl eines unter äußeren Zwängen unfrei geführten Lebens.
Aufnahme in den Künstlerverband 1987
So erreichten Harald Bauers Keramiken seit seiner Aufnahme in den Künstlerverband im Jahre 1987 sehr bald ein größeres Publikum und fanden Eingang in private wie öffentliche Sammlungen. Neunundvierzigjährig konnte er endlich wirklich freischaffend umfassender als bisher an die Verwirklichung seiner bildnerischen Ideen gehen.
Von den plastischen Arbeiten im kleinen Format seiner noch immer wenn auch entfernt einer Gefäßkultur nahestehenden Keramiken ausgehend, wandte er sich großformatigen Plastiken zu, die im Charakter von Zeichen auch als Materialkombinationen realisiert wurden. Sie sind gleichermaßen bestimmt von der Lust am Denken, vom Spielen und Formen mit unterschiedlichen Werkstoffen – Holz und Metall beispielsweise – wie ideengeprägt. Von dort war der Weg zu raumprägenden Installationen nicht weit.
Bei diesen trat zu der Gestaltung mit gefundenem Alltagsmaterial, dessen ursprüngliche Bestimmung aufgegeben worden war, also der Arbeit mit Weggeworfenem, unbrauchbar Gewordenem, das noch den Nachhall einstiger Bestimmung in sich trug, als neuer Aspekt das Moment der Zeit hinzu.
So wäre als Thema seiner großen Installationen das Verhältnis von Raum und Zeit, von Gegenwart und Vergangenheit, von Nutzen und Nutzloswerden, von brauchbar und unbrauchbar, von Stillstand und Bewegung zu benennen.
Materialbilder
Gestalterische Arbeit mit und in gefundenen Materialien wurde dann auch zur Basis seiner Bilder, die seit rund einem Jahrzehnt als Zentrum seines Werkes anzusehen sind. Allgemein gesprochen handelt es sich um Materialbilder, ausgehend von Fundobjekten der Natur, so etwa Schieferplatten, und von solchen einstiger Alltagsbestimmung: von rostigen Eisenbändern, Fragmenten alter Textilien, von Fetzen abgenutzter Säcke oder auch von ausgedienten emaillierten Schildern u. ä. Insgesamt also keine edlen oder gar zur künstlerischen Verwendung im tradierten Sinne bestimmten Elemente, eher armselige Reste einstiger Zweckbestimmung. Man könnte annehmen, daraus resultiere zwangsläufig ein retardierender oder melancholischer Charakter der neu entstehenden Werke.
Das jedoch ist keineswegs der Fall. Vielmehr verbinden sie sich engstens gerade durch die unverkleidet zur Schau gestellte fragmentarische Herkunft des Materials aufs neue mit dem Alltag, und zwar diesmal dem des Betrachters. Sie durchbrechen die Barriere zwischen einer als lebensfern angesehenen hehren Kunst einer künstlichen Realität der Bilder, überbrücken die Kluft zwischen den Erfahrungen des Künstlers und denen der Betrachter, lassen Kunstwerke nicht mehr zwangsläufig als Objekte einer dem alltäglichen Lebensgang fernen Kultur des Museums erscheinen. Umgang also mit armseligem oder wenigstens bedeutungsarmem einfachen Material, „arte povera“ hat das der italienische Kunstkritiker G. Celant in der Mitte der 60er Jahre benannt und damit eine Kunstrichtung gekennzeichnet, die sich gegen eine immer elitärer werdende Ästhetisierung der Kunstrezeption ebenso wie gegen zunehmend bürgerliche Einvernahme der Kunst überhaupt wendet.
Arbeit mit unbedeutenden Werkstoffen wie gleichermaßen mit Fundobjekten, das verbindet die Materialbilder der „arte povera“ mit den „objet trouvé“ des Dadaismus, wo zufällige Fundobjekte, Abfallprodukte des Alltags u. a. durch Einbau in neue bildnerische Konstellationen eine neue Sinngebung erfuhren, wie beispielsweise in den „Merzbildern“ von Kurt Schwitters. Neubelebt wurde solcherart Umgang mit Fragmenten des Alltags im Umfeld der Pop-Kunst und vor allem durch die Provokation der aus Alltagsmüll geschaffenen Werke der französischen „Nouveaux Réalistes“ gegen die Diktatur der abstrakten Kunst. Als historischen Hintergrund ist gleicher-maßen auf das Verfahren der Assemblagen zu verweisen, gebildet aus der Zusammen-führung unterschiedlicher, auch körperlicher Elemente zu einem reliefartigen Bild, beispiels-weise durch P. Picasso und G. Braque um 1910 in ihren kubistischen Arbeiten.
Einen neuen Ansatz verkörpern die Arbeiten der Mitglieder der italienischen Gruppe „Origine“ aus den Jahren 1950 bis 1952, als deren Gründer Alberto Burri in seine Bilder Sackleinen, verrostetes Eisen und angekohlte Hölzer einfügte und so reliefartige Kompositionen schuf, in denen die gefundenen Materialien gleichwertig und gleichrangig neben den Farben des Malers stehen. Alle Elemente sind nicht illusionistisch oder illustrativ verwendet, sondern bilden ein autonomes Ganzes, das gleichermaßen optisch wie haptisch wirkt und unterschiedliche Assoziationen auslöst, deren Art und Weise von der Persönlichkeit des Betrachters und nicht vom Künstler bestimmt wird. Damit verbreiten die Kunstwerke keine Botschaft – etwa des Künstlers sondern sind, wie Alfred Muschg sagt, selbst die Botschaft.
Die Materialbilder von Harald Bauer stehen also fest in Traditionen der Kunst unseres Jahrhunderts, sie sind keine Erfindungen und auch kein Neuanfang. Dennoch bedeuten sie, herausgewachsen aus der besonderen Situation der bildenden Künste in der DDR, einen der Zugänge zur Auseinandersetzung mit der Weltkunst unseres Jahrhunderts. Durchaus Eigenständigkeit erlangen sie durch die Art und Weise, in welcher der Künstler seine „armen“ Materialien zu reliefarti-gen oder reliefähnlich wirkenden Bildern verschmilzt. Eigene gestalterische Bedeutung wie auch nur ihnen eigene Ästhetik vermag ihnen der Künstler u. a. dadurch zu verleihen, daß er fein aufgeschlämmte und mit besonderen Bindemitteln haftend gemachte Tonerde in seine Bilder integriert, die wie eine dünne Haut über der Farbmaterie liegt und durch Schrumpfungsprozesse aufreißt. Empfindungen von Verletzlichkeit wie an das Durchbrechen von Kräften aus der Tiefe des Bildes stellen sich ein.
Bauers künstlerische Entwicklung
Harald Bauers Bilder sind keineswegs als dekorative Zutaten zu begreifen. Sie bewahren und behaupten ihre Eigenständigkeit auch dadurch, daß der Künstler seine Bildfelder mit Rahmen umschließt und sie sozusagen eingrenzt, zurückwirft auf sich selbst und solcherart seine Bildfindungen konzentriert auf den Betrachter wirken läßt und sie nicht fließend mit der Umgebung verschmilzt. Schaut man auf die Leipziger Kunst der letzten zwei Jahrzehnte, dann wird erkennbar, daß Harald Bauers künstlerische Entwicklung sich nicht allein auf sich gestellt vollzog, sondern Parallelen besitzt.
Daß seine Palette zunehmend farbiger wird, leuchtend, fast strahlend, immer weniger tonig, monochrom erdfarben oder gar dunkel erscheint, sondern kräftige Farben aufweist, das ist gewiß ebenso Reaktion auf Erfahrungen in einer für uns seit acht Jahren grenzenlos groß gewordenen Welt, mit Reisezielen, von denen uns nicht einmal die schönsten Träume Bilder vorgaukelten, wie es Reaktionen auf eine sich verändernde Urbanität um uns herum sein dürften. Dennoch schafft er keine romantischen Bilder, bleibt vielmehr zurückhaltend, wenn auch intensiv, dafür unmittelbar real und in gewisser Weise auch nüchtern. Seine „Bilder“ folgen dem Alltag nicht nach, sie sind weder euphorisch noch depressiv, bleiben „cool“, dafür dicht an der Realität und sind wohl ebenso zu verstehen, wie es der bedeutende katalanische Künstler Antoni Tapies als den Zweck seiner Werke benannte: „…mit meinem Werk versuche ich den Menschen zu helfen, den Zustand der Selbstentfremdung zu überwinden, indem ich sein tägliches Leben mit Gegenständen umgebe, die ihn auf eine ,berührbare‘ Art mit Problemen unserer Existenz konfrontieren.“
Quelle:
Rainer Behrends
Harald Bauer, Bilder und Objekte, Katalog, Seiten 5 – 7.
Bauers Ways
Public first notice
The public first noticed the artistic works of Harald Bauer in the mid-1980s, but the artist’s personal history and enduring art span a much broader timeframe. Ultimately, Bauer’s ceramics and material paintings (Materialbilder) that are a perfect representation of the art traditions of the 20th century.
Bauer completed an academic degree in mechanical engineering, but found he was unfulfilled with the purely technical profession. In his youth he had been a student of Walter Münze, who helped him learn and explore artistic theory. The creation of Bauer’s own art, however, was completely autodidactic. He nurtured his artistic interests and developed a passionate hobby for art. When he was forty-five years old his own works were exhibited for the first time; in 1979 his paintings and sculptures were displayed by the so-called small galleries (Kleine Gallerien) run by Cultural Union of the German Democratic Republic.
Bauer’s unique creative process allowed him to create art freely. He refused to subscribe to a certain school of art or cater to predominate public requirements concerning the process and purpose of art. During the time of his artistic debut, contemporary art essentially entailed Socialist Realism. This strain of art focused heavily of recreated, accessible concepts based on literature and was rich with references to Greek, Roman, and private mythologies. Whoever studies the works of Bauer, can see that his formative works were never heavily influenced by Social Realism. Still, Bauer realized that as a freelance artist he would never gain access to public exhibition places and organizations, so he became of member of the GDR’s artist union to increase his network.
Material filled paintings
It was during this time in the 1970s that young artists from various backgrounds changed the creative process drastically. Artistic mission and interpretation were re-evaluated. Great chasms between painting and formative art were bridged. An era of material-filled paintings (Materialgeprägte Bilder) were the outcome of this movement. And Bauer found his perfect environment. The use of raw materials like unpainted clay, rusty metal, and brushed paint symbols on a rough background captured people’s interests. His creations are not pottery, but instead ceramic sculptures that embody their own liberation and release. His art shows artistic freedom in an unfree life.
Buoyed by his initial success, Bauer was able to further develop his creative ideas throughout the 1980s. He created bigger sculptures and experimented with installations for indoor and outdoor spaces. He incorporated everyday objects found lying by the wayside and re-worked discarded and used materials. Objects such as a slate, rusty iron belts, old textiles, and old signs all became reimaged through Bauer’s creations. Bauer’s creative genius is evident in his ability to strip away the melancholic implications of these leftover items, and instead connect the observer with a new interpretation of everyday experiences. Bauer found joy and creativity in playing with different materials, which led to the exploration of greater philosophical concepts. His art of this time explores the relationship of time and space, present and past, use and uselessness, progress and stagnation.
Paintings and sculptures
The works of Bauer break the barrier that keeps art removed and distant. His paintings and sculptures act as a bridge between the artist’s perception and the observer’s reality. His works are so well-received not because they create or invent something new, but because they contribute to artistic discourse in everyday life. Like many other artistic traditions of the 20th century, his work does not necessarily serve a decorate purpose. Instead Bauer pulls art from the claws of museums and places it in the midst of ordinary.
Source:
This text is a translated interpretation of Rainer Behrend’s German text “Bauers Wege” as published in the book Harald Bauer Bilder und Objekte, printed by the Säschischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst.